Vorgeburtliche Traumata
Anmerkung zur Traumatherapie: die Einführung und wie ich mit Traumata arbeite, können Sie hier nachlesen.
Schon im 17. Jahrhundert erkannte der Philosoph und Mediziner Thomas Browne, dass das Leben vor der Geburt beginnt:
Wir haben sicher nicht unser errechnetes Alter, und jeder Mensch ist um einige Monate älter, als er zu sein glaubt; denn schon in dieser anderen Welt, den eigentlichen Mikrokosmos, im Schoß unserer Mutter, leben wir, bewegen uns, haben ein Sein und sind den Wirkungen der Elemente und der Heimtücke von Krankheiten unterworfen.
Sir Thomas Browne, Religio Medici, 1642
David Barker und Nathanielsz entdeckten schon in den Neunziger Jahren die Bedeutung von Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit für das spätere Leben. Daraus entwickelte sich die Erkenntnis von der fötalen Programmierung. Das Kind im Mutterleib kann seelische und körperliche Beeinträchtigungen bzw. Schäden davontragen, wenn die Mutter in der Schwangerschaft…
- Alkohol konsumiert (auch in kleinen Mengen)
- raucht
- andere Drogen oder Medikamente nimmt
- hungert (Kriegs- und Nachkriegszeit!) oder mangelernährt ist
- Luftschadstoffen ausgesetzt ist
- Anspannung, Stress erlebt
- hohen Blutdruck / Blutdruckschwankungen hat
- Herzprobleme (z.B. Herzrasen ) hat
- hormonale (z.B. Schilddrüsen-) Störungen hat
- hohe Entzündungswerte hat, z.B. durch Übergewicht (Hauch&Hauch 2018, 286)
- Streit mit dem Vater oder Partner hat
- Gewalt / Angst erlebt, evtl. bis zu Todesangst. Dies kann sogar die Erbanlagen des Kindes beeinflussen (Hildebrandt 2016, 87).
- dem werdenden Kind gegenüber ambivalent oder ablehnend gegenübersteht
- selbst traumatisiert ist
All dies verändert die Umgebung des Kindes, z.B. den normalen Adrenalin- Cortisol- und Hormonspiegel, was sich über den Blutkreislauf auf das Kind überträgt.
Folgen können sein (beginnend im Säuglingsalter, teilweise bestehend bis in die Erwachsenenzeit):
- geringes Geburtsgewicht (dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Depression)
- schwierige Geburt
- Dünnhäutigkeit
- Verstummen oder
- übermäßiges Schreien
- Schlafprobleme
- Unruhe
- Gedächtnisprobleme
- Reizbarkeit, erhöhte Irritierbarkeit
- Wahrnehmungsprobleme
- sprachliche Störungen
- verminderte Intelligenz
- Untergewicht
- erhöhte Krankheitsanfälligkeit
- möglichweise Homosexualität (umstritten)
- Tics
Wenn die Mutter bereits vor der Geburt mit dem Kind Kontakt aufnimmt (emotional sowie durch Berührung, Haptonomie ), können die negativen Folgen teilweise oder ganz aufgefangen werden.
Ungewollte Schwangerschaft - ein Trauma für das Kind
Wenn eine Mutter ihr Kind ablehnt, evtl. sogar versucht hat, es abzutreiben, hat dies oft gravierende Folgen:
- vermindertes Selbstwertgefühl
- allgemeine Lebensunzufriedenheit
- das Gefühl, in Gruppen (oder von der Gesellschaft) nicht erwünscht zu sein, abgelehnt zu werden
- enttäuschende Liebesbeziehungen
- erhöhte Gefährdung, Suizidhandlungen zu begehen,
- straffällig zu werden
- weitere Infos und Untersuchungen
Video 1: Arbeit mit IFS (mit inneren Anteilen) - Teil 1: Grundlagen (am besten zuerst anschauen, dann:)
Video 2: Arbeit mit IFS (mit inneren Anteilen) - Teil 2: Arbeit mit frühen Traumata
Tietze nennt ein Beispiel für die vorgeburtliche Wahrnehmung des Fetus: ein Säugling weigerte sich, an der Brust seiner Mutter zu trinken, er trank jedoch an der Brust einer anderen Mutter. Auf Nachfragen stellte sich heraus, dass die Mutter das Kind eigentlich gerne abtreiben wollte, der Partner hatte das jedoch abgelehnt (167).
Nachrichten.at über Ungewollte Kinder
Blutungen in der Schwangerschaft
In vielen Fällen steht ein Konflikt im Hintergrund, mit dem Ehepartner, mit den Eltern oder Großeltern (Raffai, in: Blazy 2009, 46)
Pränataldiagnostik
Invasive Verfahren wie die Fruchtwasseruntersuchung können seelische Auswirkungen auf das Kind haben. Ein Mädchen entwickelte beispielsweise eine Angst vor Einbrechern. (vgl.: Hildebrandt 2016, S. 57)
IVF (In-vitro-Fertilisation) und ICSI ( Intrazytoplasmatische Spermieninjektion )
Bei diesen Zeugungsverfahren in unnatürlicher Umgebung können ebenfalls Traumata entstehen, die psychotherapeutische Bearbeitung benötigen (Hildebrandt 2016, 254).
Verlorener Zwilling / allein gebliebener Zwilling oder Drilling
Häufig nisten sich mehrere befruchtete Eizellen ein, dies ist manchmal auch im Ultraschall sichtbar. Das wird von den Ärzten jedoch nicht immer mitgeteilt, weil häufig nur ein Kind überlebt und man die Mütter nicht “beunruhigen” will. Aus systemischer Sicht ist es jedoch besser, dies mitzuteilen, da auch ein “verlorener” Zwilling zum Familiensystem gehört. Ihn zu betrauern und zu verabschieden ist wichtig!
Für den Überlebenden ist der Verlust häufig ein Trauma, mit zahlreichen Symptomen, die in der Literatur beschrieben sind (s.u.).
Literatur, siehe auch ( allgemeine Literatur zur Traumatherapie)
Ute Auhagen-Stephanos, Damit mein Baby bleibt. Zwiesprache mit dem Embryo von Anfang an - Für alle Interessierte
Irene Behrmann / Marianne Sturm (Hg.) Leben und Geburt. Pränatalzeit – Geburt – Kaiserschnitt – Frühe Kindheit. Regressionstherapeutische Dokumente - Aufsatzsammlung
Blazy, Helga (Hg), “Wie wenn man eine innere Stimme hört”. Bindung im pränatalen Raum - Für Fachleute und interessierte Laien
Hayton, Althea, Ripples from the Womb. How therapists can help the sole survivor when a twin dies before birth E-book, für Therapeuten und Interessierte; kostenloser Download
Was Ungeborene wahrnehmen - Teil I - Die Entdeckung der «endogenen wahrnehmung» in der Regression von Wolfgang H. Hollweg
Was Ungeborene wahrnehmen - Teil II - Die Bedeutung der «endogenen Wahrnehmung» für die Abtreibungs-Debatte von Wolfgang H. Hollweg
Sven Hildebrandt, Helga Blazy, Johanna Schacht und Wolfgang Bott (Hg), “Ich spüre – also bin ich : Bedürfnisse vorgeburtlicher Kinder und ihrer Eltern im Spannungsfeld zwischen geburtskulturellen Entwicklungen, Gesundheitspolitik, Grundrechten, Ethik und Ökonomie, 2016
Helga Levend, Ludwig Janus: Bindung beginnt vor der Geburt - Aufsatzsammlung. Die Autoren sind vorwiegend psychoanalytisch orientiert
Ludwig Janus (Hg.), Die pränatale Dimension in der Psychotherapie (Aufsatzsammlung. Die Autoren sind vorwiegend psychoanalytisch orientiert)
- Jan Vermeij, Salvador Dali – seine Geburt und seine Gemälde Aufsatz in dem o.g. Buch von Janus (PDF)
- Barbara Schlochow, Der verlorene Zwilling – Vom Trauma zur Ressource Aufsatz in dem o.g. Buch von Janus (PDF)
- Klaus Evertz, Das Sehen vor dem ersten Blick – Intrauterine Beziehungssphären in Bildern Aufsatz in dem o.g. Buch von Janus (PDF)
Jenö Raffai, György Hidas, Nabelschnur der Seele. Psychoanalytisch orientierte Förderung der vorgeburtlichen Bindung zwischen Mutter und Baby. Vorw. v. Ludwig Janus. Für Fachleute und Interessierte
Heike Rödel (Autor), Karlton Terry (Autor), Ludwig Janus (Autor), Als meine Seele Mensch wurde: Pränatale Psychologie und Kunst - Ein Therapieprozess in Bildern, kommentiert vom Therapeuten. Es geht um einen traumatischen Moment während der Empfängnis (“Zeugungsschock”)
Das Phänomen des “verlorenen Zwillings” kann ebenfalls ein Trauma verursachen (Buchhinweis: Evelyne Steinemann, Der verlorene Zwilling: Wie ein vorgeburtlicher Verlust unser Leben prägen kann, Amazon-Link).
Weitere Links
13 Thesen zu “Leben und Geburt” in: Irene Behrmann / Marianne Sturm (Hg.) Leben und Geburt. Pränatalzeit – Geburt – Kaiserschnitt – Frühe Kindheit. Regressionstherapeutische Dokumente
Irene Behrmann / Marianne Sturm (Hg.) Leben und Geburt. Pränatalzeit – Geburt – Kaiserschnitt – Frühe Kindheit. Regressionstherapeutische Dokumente. ISBN 978-3-86809-012-3
Internationale Studiengemeinschaft für Pränatale und Perinatale Psychologie und Medizin (ISPPM)